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Brecht in Hollywood: "Hügelkette mit Preisschildchen"

Schlichte, schwarze Striche zeichnen eine zusammengesunkene Figur im weiten Umhang auf einer Bank. Der Mann mit den asiatischen Gesichtszügen blickt gedankenverloren zu Boden. Beliebig ein- und ausrollbar begleitete das Bild "Der Zweifler" den deutschen Schriftsteller und Dramatiker Bertolt Brecht im Exil. Selbst weit entfernt von den Nationalsozialisten war es Symbol für den Zweifel selbst, der mit Brecht reiste. 1933 emigrierte der Schöpfer der "Dreigroschenoper" und landete - in Hollywood.

Als der 35-jährige Brecht und seine Frau Helene Weigel am 28. Februar 1933 mit ihren Kindern Berlin verließen, war die Stadt in Aufruhr. Lichterloh hatte der Reichstag in der Nacht zuvor gebrannt. Für Brecht nur eine letzte Bestätigung für einen bereits gefällten Entschluss. Er wollte weg von den Nazis. 1923 hatten sie die Premiere seines Stücks "Im Dickicht der Städte" im Münchner Residenztheater mit Zwischenrufen und Stinkbomben gestört. Vom Höhepunkt der Verachtung - der Vernichtung seiner Werke bei der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz - erfuhr er im sicheren Exil aus der Zeitung.

Über Prag und Wien war das Paar mit den Kindern nach Zürich gelangt, wohin auch Kurt Kläber, Lion Feuchtwanger und die Familie Mann geflüchtet waren. Da der Lebensunterhalt dort allerdings kostspielig war, ließ sich die Familie noch im selben Jahr im dänischen Svendborg nieder. Am 8. Juni 1935 bürgerten die Nationalsozialisten den überzeugten Kommunisten Brecht offiziell aus. Bis 1941 zog die Familie weiter nach Schweden, dann nach Finnland. Als im Sommer 1941 immer mehr deutsche Divisionen dort eintrafen, reisten Brecht und seine Familie im Sibirienexpress über Moskau nach Wladiwostok. Im Juni ging es von dort mit dem Schiff gen Amerika.

In Santa Monica, fern der Heimat, herrschte eine friedliche Atmosphäre. Sanfte Hügellinien, Zitronenbüsche, kalifornische Eichen, weiße Gartenmöbel unter Palmen. Doch die Schönheit der Natur provozierte Brecht, für ihn war sie nicht mehr als eine Fassade: "Das war die entsetzliche Idylle dieser Landschaft, die an sich mehr dem Gehirn der Bodenspekulation entsprungen ist, (...) Würde man dort drei Tage das Wasser einstellen, würden die Schakale wieder auftauchen und der Sand der Wüste." Die perfekte Gestaltung der Gärten und Parks war für Brecht Sinnbild des Lebens in Hollywood. Wenn das Geld ausging, verschwand der schöne Schein.

Bald stellte er fest, dass auch die Kunst wie vieles andere in dieser Umgebung nichts als eine Ware war: "Ich suche unwillkürlich an jeder Hügelkette (...) ein kleines Preisschildchen. Diese Preisschildchen sucht man auch an Menschen."

Der Außenseiter

Rund 2000 Schriftsteller hatten während der Zeit des Nationalsozialismus Deutschland und die von den Deutschen besetzten Länder verlassen. Brecht war damit nur ein kleiner Teil des großen Exodus von Intellektuellen, zu denen etwa auch Alfred Döblin, Kurt Weill, Hanns Eisler und Theodor Adorno gehörten. Viele von ihnen fanden sich gut in der amerikanischen Welt zurecht, manche kehrten nie nach Deutschland oder Europa zurück.

Anders der Bedenkenträger Brecht. Für Hollywoods Glamourwelt fehlte ihm jegliches Verständnis. Wie schon in seinen Stücken "Die Mutter" oder "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" beschäftigte er sich auch auf der anderen Seite des Atlantiks mit der Kritik an den bestehenden Verhältnissen. Ihm lag daran, mit seinen Werken die Gesellschaft zu verändern.

An jedem Arbeitsplatz seines Exils hängte Brecht die chinesische Zeichnung des "Zweiflers" auf, die sich seit etwa 1935 in seinem Besitz befand und der er 1937 ein Gedicht gewidmet hatte: "Immer wenn uns / Die Antwort auf eine Frage gefunden schien / Löste einer von uns an der Wand die Schnur der alten / Aufgerollten chinesischen Leinwand, so daß sie herabfiel und / Sichtbar wurde der Mann auf der Bank, der / so sehr zweifelte./ Ich, sagte er uns / Bin der Zweifler, ich zweifle, ob / Die Arbeit gelungen ist, die eure Tage verschlungen hat. / (...) Nachdenklich betrachten wir mit Neugier den zweifelnden / Blauen Mann auf der Leinwand, sahen uns an und / Begannen von vorne."

Es liegt nahe, dass der Kommunist Brecht auch an der Welt des Kapitalismus zweifelte. In Hollywood hatte er als Drehbuchautor arbeiten wollen. Doch kaum dort angekommen, wurde er zum Außenseiter. Obwohl er sich anstrengte, gelang es ihm kaum, mit seiner Arbeit Fuß zu fassen. Einiges hatte er angefangen, nur weniges wurde zu Ende geführt: Der Film "Hangmen Also Die" (1943) blieb eine Ausnahme. Er fühle sich wie "Franz von Assisi im Aquarium, Lenin im Prater (oder Oktoberfest)" schrieb der Dichter in sein Journal. Ernst nehmen wollte er den Stil der amerikanischen Filmemacher nicht: "Es wird damit gerechnet, dass die Schauspieler nicht spielen und die Zuschauer nicht denken können."

Herzliche Feinde

In Hollywood kam es auch zu einem Wiedersehen mit Thomas Mann. Doch das gemeinsame Schicksal in der Fremde konnte die beiden großen deutschen Literaten nicht zusammenschweißen. Im Gegenteil: Die Enge des Exils bestärkte ihre herzliche Feindschaft. Für Brecht war Mann die Verkörperung einer überkommenen, bürgerlichen Welt und deren Unterhaltungsliteratur. An Brechts gesellschaftskritischem Anspruch scheiterten Manns Romane. In der "Ballade von der Billigung der Welt" hatte Brecht bereits 1930 festgehalten: "Der Dichter gibt uns seinen Zauberberg zu lesen. / Was er (für Geld) da spricht, ist gut gesprochen! / Was er (umsonst) verschweigt, die Wahrheit wärs gewesen. / Ich sag: Der Mann ist blind und nicht bestochen."

Die Amerikaner allerdings feierten Mann - unter anderem mit Ehrendoktorwürden der Universitäten Harvard, Yale, Columbia, Rutgers sowie Princeton. Brecht dagegen stuften sie schon bald als "enemy alien", als feindlichen Ausländer, ein. Unter Jubel hatte Mann 1938 die USA mit den Worten "Wo ich bin, ist Deutschland" betreten. Als Jahre später eine Niederlage Deutschlands absehbar wurde, plädierte er im Radio öffentlich für eine kollektive Bestrafung der Deutschen. Diese Rolle des Richters gestand Brecht Mann nicht zu. Zwar verurteilte auch Brecht den Nationalsozialismus aufs Schärfste, die Zukunft der deutschen Bevölkerung aber sah er optimistisch. Gerne hätte er Mann öffentlich im Radio widersprochen. Ohne Kontakte nach Washington und als potentieller Staatsfeind blieb ihm diese Möglichkeit allerdings verwehrt.

Nach Kriegsende geriet Brecht ins Visier der Kommunistenjäger der McCarthy-Ära: Am 30. Oktober 1947 musste er vor dem "Ausschuss zur Untersuchung unamerikanischer Betätigung erscheinen, dessen Anliegen es war, eine kommunistische Zelle in Hollywood aufzudecken. Obwohl er sprachlich im Verhör unterlegen war, entkam Brecht den kritischen Fragen mit schlagfertiger List. Da er nie Mitglied der KPD gewesen war, durfte er gehen. Der Eindruck dieses politischen Verhörs reichte ihm: Am Tag darauf flog er mit seiner Frau über Paris zurück nach Zürich - während in New York die für Amerika überarbeitete Fassung seines Stücks "Galileo" Premiere feierte.

Obwohl er seine Werke in Hollywood nicht vermitteln konnte, hat Brecht in seiner Zeit dort eine große Anzahl von Gedichten, Theaterstücken und Aufsätzen verfasst, darunter die "Hollywood-Elegien", "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui" und "Der Kaukasische Kreidekreis". Erst in Ost-Berlin konnte er ab 1948 seine Ideen für das Theater umsetzen.

Sein Fazit über seine Zeit in der Traumfabrik fiel dementsprechend nüchtern aus: In den fünf Jahren in den USA, so schrieb er 1946, habe er dort "einmal etwas Kunstähnliches" gesehen: "Entlang an der Küste von Santa Monica, vor den Tausenden Badenden, schwebte an dünnen Drahtseilen drachenhaft, gezogen von einem Motorboot, ein dünnes, köstliches Gebilde in zarten Farben." Es handelte sich - wie er später erfuhr - um die Werbung einer Hautölfirma.